Krisenintervention
Krisenintervention geschieht, wenn „etwas“ geschehen ist. Selbst die beste Präventionsarbeit und das umfassendste Schutzkonzept können keinen absoluten Schutz vor sexueller Gewalt garantieren. Sobald auch nur der Verdacht sexuellen Missbrauchs vorliegt, tauchen die Fragen auf: Was ist jetzt zu tun? Und: Was ist jetzt zu unterlassen?
Viel zu lange galt auch in unseren Gemeinden „Was nicht sein darf, kann nicht sein“. Diese Haltung führt zu Vertuschung, Leugnung und Verharmlosung. Heutzutage werden Gemeinden und Mitarbeitende für das Thema der sexuellen Gewalt sensibilisiert, darüber informiert und aufgeklärt. Bei vielen entsteht dadurch Handlungsunsicherheit1. Deshalb ist es wichtig, einige Sofortmaßnahmen zu kennen, die Handlungssicherheit schaffen und dabei helfen, Tun und Lassen im Krisenfall abzuwägen.
Folgende Hinweise können für den jeweiligen Fall eine Orientierungshilfe sein:
Beobachtungsfall
Wenn du etwas beobachtest, das dir komisch vorkommt, und du sexuellen Missbrauch vermutest:
- Bleib ruhig und überstürze nichts!
- Schau hin und nimm deine Gefühle ernst.
- Überlege, woher deine Vermutung kommt.
- Notiere mit Datum, was du gesehen und wahrgenommen hast.
- Schütze deine Notizen vor dem Zugriff anderer.
- Suche dir zeitnah eine kompetente Vertrauensperson oder wende dich direkt an den Fachbeirat unserer Freikirche. Dort gibt es Fachleute, die geschult und erfahren sind.
Wichtig ist auch:
- Unternimm keine eigenständigen Schritte und handle nicht voreilig. Überhastetes Eingreifen schadet meist mehr, als es nützt.
- Sprich nicht sofort mit dem Kind, seinen Eltern und schon gar nicht mit dem mutmaßlichen Täter. Dieser könnte noch mehr Druck auf das Kind ausüben.
- Informiere auch nicht unmittelbar dein Team. Gespräche über vermutete sexuelle Gewalt können zu Reaktionen führen, die nicht mehr kontrollierbar sind. Beziehe so wenige Personen wie möglich ein.
- Nimm in einem ersten Schritt noch keinen Kontakt zu Behörden oder der Polizei auf. Es besteht aus strafrechtlicher Sicht keine Eile.
Mitteilungsfall
Wenn dir ein Mädchen oder ein Junge mitteilt, Opfer sexueller Gewalt geworden zu sein oder „etwas“ gesehen zu haben:
- Bewahre Ruhe und überstürze nichts!
- Nimm die Aussagen ernst und sage: „Ich glaube dir!“
- Bestärke sie/ihn: „Es war richtig, dass du mir das gesagt hast.“
- Lass sie/ihn wissen: „Du bist nicht schuld!“
- Versichere: „Ich werde nichts ohne dich entscheiden.“
- Erkläre: „Ich werde mir Rat und Hilfe holen.“
- Biete an, dass sie/er jederzeit wieder mit dir darüber sprechen kann.
- Akzeptiere, falls dein Angebot abgelehnt wird.
- Notiere nach dem Gespräch, was gesagt wurde.
- Schütze deine Notizen vor dem Zugriff anderer.
- Unternimm nichts im Alleingang.
- Sprich mit einer qualifizierten Person deines Vertrauens.
- Wende dich an den Fachbeirat unserer Freikirche.
Wichtig ist auch:
- Stelle keine bohrenden Fragen. Das Mädchen/der Junge könnte dadurch den Eindruck gewinnen, dass es/er am Missbrauchsgeschehen mitschuldig war.
- Bring nicht ins Spiel, dass das Mädchen/der Junge etwas falsch gemacht haben könnte. Die Verantwortung für grenzverletzendes Verhalten und sexuelle Übergriffe durch einen Erwachsenen trägt niemals das Opfer!
- Informiere die Eltern nicht ohne Zustimmung des Opfers, schon gar nicht gegen dessen Willen.
- Sprich den mutmaßlichen Täter nicht darauf an.
- Initiiere auf keinen Fall ein gemeinsames Gespräch zwischen mutmaßliche Täter und der betroffenen Person.
- Versprich nichts, was du nicht halten kannst! Mache keine Aussagen darüber, was mit dem Täter geschehen wird.
- Schalte nicht sofort eine Behörde oder die Polizei ein.
Grundsätzlich gilt
Nichts im Alleingang unternehmen, sondern immer gemeinsam mit der Unterstützung von Fachleuten handeln. Eine Gemeinde oder Gruppe sollte deshalb mögliche Ansprechpersonen des Fachbeirats sowie Anlaufstellen inkl. derer Kontaktdaten kennen und nicht erst im Krisenfall anfangen zu suchen.
Ein schriftlich fixiertes Verfahren zum Vorgehen bei Verdacht auf Missbrauch oder nachgewiesener sexueller Gewalt ist ein unerlässlicher Bestandteil eines Schutzkonzepts. Der Handlungsplan „Sexueller Gewalt begegnen“ enthält auch eine Anleitung, wie dann zu verfahren ist, wenn sich der Verdacht gegen Mitarbeitende als unbegründet herausstellt. Ebenfalls ist darin die Verpflichtung zur Aufarbeitung von Fällen sexueller Gewalt enthalten.
Das nachfolgende Muster eines solchen Handlungsplans kann hier heruntergeladen und entsprechend ausgefüllt werden.
Handlungsplan
PDF, 91,3 KB
Handlungsplan „Sexueller Gewalt begegnen“
Stand: 10.2022
1 Gemeinden sind in der Handhabung und im Umgang mit Vorkommnissen im Bereich des sexuellen Missbrauchs im Regelfall überfordert. Dies ist nicht der mangelnden Sensibilität der Gemeindeglieder geschuldet, sondern liegt im besonderen Maß an der Komplexität der Delikte.
Foto: (c) Liza Summer von pexels.com